Brandgefährlich: Die Verkaufszahlen der Einweg-E-Zigaretten explodieren!

31.08.2022

Seit ihrer Markteinführung pflügen die Einweg-E-Zigaretten den Nikotinmarkt und -konsum total um. Ihre Verkaufszahlen wachsen exponentiell – 2022 möglicherweise um satte 2200 Prozent! Diese Produkte setzen ihren gefährlichen Siegeszug unter den Teenagern und Jugendlichen weitgehend unbemerkt fort. Angesichts dieser äusserst schnellen Entwicklung ist unser Gesetzesrahmen komplett rückständig und unsere Gesundheitspolitik völlig unangemessen.

von Luciano Ruggia

Im Dschungel des E-Zigaretten-Angebots

Die elektronischen Zigaretten («electronic nicotine delivery system», ENDS) umfassen äusserst unterschiedliche Systeme, was das Gerät, aber auch die enthaltenen Liquide angeht, also die nikotinhaltigen chemischen Mixturen, die sehr hoch erhitzt werden, um Aerosole freizusetzen. (Der oft verwendete Begriff «Dampf» ist irreführend, da die Liquide nur einen vernachlässigbar kleinen Wassergehalt von < 5 % aufweisen.) Darum wäre es unzweckmässig, diese Produkte in ihrer Gesamtheit zu betrachten, denn sie sind nicht nur vielfältig, sie bilden einen eigentlichen Dschungel und Wildwuchs. Die meisten von ihnen, über 95 Prozent, werden in China hergestellt.

Im Jahr 2019 ist mit den Einweg-E-Zigaretten eine spezielle Kategorie auf den Markt gekommen, die oft mit dem Namen der ersteingeführten Marke bezeichnet wird: Puff Bar. Seit ihrer Markteinführung entwickeln sich diese Einweg-Produkte in besorgniserregender Art und Weise: eine Vielzahl von Aromen, intransparente chemische Zusammensetzungen, keine Importkontrollen und Einführung von synthetischem Nikotin, zu dessen gesundheitlicher Wirkung keine wissenschaftlichen Studien vorliegen. Zudem sind diese Produkte extrem vielfältig: In einem chinesischen Grossisten-Online-Shop haben wir im Sommer dieses Jahres 404 140 unterschiedliche Einweg-E-Zigaretten von 40 414 Produzenten und Zulieferern identifiziert.[i]

Schwache Rechtslage

In der Schweiz bestehen für E-Zigaretten praktisch keine Regeln und keinerlei Kontrollen. Sie können frei, um nicht zu sagen masslos verkauft werden. Noch immer besteht kein Verkaufsverbot für Minderjährige unter 18 (was im Übrigen auch für Tabak gilt). Ein Verbot wird erst mit dem neuen Tabakproduktegesetzes (TabPG) nach langen Jahren des Zauderns und des Rechtsvakuums voraussichtlich auf Mitte 2023 eingeführt. Einstweilen haben die Kantone – aber auch nur eine Handvoll von ihnen hauptsächlich in der Romandie – den Verkauf von E-Zigaretten an Minderjährige verboten.[ii] Doch wie die Erfahrung mit den Zigaretten zeigt, reicht ein Verbot auf dem Papier noch lange nicht aus, damit Minderjährige auch tatsächlich nicht an sie gelangen können. Eine der einzigen Regelungen für Einweg-E-Zigaretten ist der europäische Höchstwert von 20 mg/ml Nikotin in den Liquiden. Aber auch dieser, eigentlich schon hohe Grenzwert wird längst nicht immer eingehalten: In Online-Shops und Geschäften haben wir Produkte mit 50 und 60 mg/ml gefunden.

Die E-Zigaretten und insbesondere die Einweg-E-Zigaretten sind einfach erhältlich, namentlich in zahlreichen Online-Shops, die oft keinerlei Alterskontrolle vornehmen und die Ware anonymisiert direkt nach Hause liefern, aber auch in Geschäften und Kiosken. Sie sind im Vergleich zu allen anderen nikotinhaltigen Produkten äusserst billig.[iii] Zudem werden sie nicht besteuert. Sogar mit der künftigen Tabak- und Nikotinproduktsteuer bleibt ihre Besteuerung im besten Fall vernachlässigbar und wird sich aller Voraussicht nach nicht auf die Verkaufszahlen auswirken. Für die Verkäufer springen dabei saftige Gewinne heraus. So verkauft ein Schweizer Online-Shop die Elf Bar 2500 Blue Razz Lemonade zu einem Preis von CHF 19,90. Dasselbe Produkt bietet ein chinesischer Grossisten-Online-Shop für USD 0,50 (kleine Mengen von < 50 Stk.) bis USD 0,01 (> 20 000 Stk.) an. Der Vorteil für den Schweizer Wiederverkäufer ist, dass er sich direkt beim chinesischen Produzenten eindecken kann. Dies im Gegensatz zu den Tabakprodukten, deren Vertriebskanäle von den Tabakmultis und den Grossverteilern (Coop, Denner, Valora) kontrolliert werden.

Heute ist es so, dass praktisch jedermann überall und zu jeder Zeit ganz einfach und zu unschlagbaren Preisen an Einweg-E-Zigaretten kommen kann.

Verkaufsregal mit Einweg-ENDS (Quelle: REUTERS/Arriana Mclymore)

Die Verkaufszahlen explodieren

Die Schweiz verfügt über keinerlei Verkaufsstatistiken für E-Zigaretten. Bei den besteuerten Zigaretten ist bekannt, dass die Zahl der verkauften Zigaretten 2020 trotz der Konkurrenz durch allerlei «alternative» Produkte[iv] im Jahresvergleich um 4 Prozent zugenommen hat.

Laut Reuters haben im August 2022 veröffentlichte Analysen aus den USA gezeigt, dass die Explosion der Verkaufszahlen real ist.[v] Demnach stellten die Einweg-Produkte 2019 nur 2 Prozent der verkauften E-Zigaretten dar, während sie heute ein Drittel des Marktvolumens ausmachen und bereits einen Umsatz von über USD 2 Milliarden generieren. Dabei könnten diese Zahlen krass unterschätzt sein, denn Esco Bar, ein Hersteller von Einweg-Produkten, erklärte, dass sein Umsatz statt der von Reuters zitierten Schätzung von USD 82 Millionen in Tat und Wahrheit 300 Millionen betrage.

Obwohl hierzulande keine amtlichen Zahlen vorliegen, scheint in der Schweiz derselbe Trend zu gelten. In einem jüngst erschienenen Artikel gibt der Präsident der Swiss Vape Trade Association zur Kenntnis, dass der Verkauf von Einweg-E-Zigaretten seit Anfang 2022 jeden Monat um 30 Prozent zugenommen habe und bereits 30 Prozent des gesamten E-Zigaretten-Markts ausmache.[vi] Es gibt keinen Grund, die Aussage des Branchenverbandspräsidenten anzuzweifeln. Dies bedeutet aber, dass die Verkaufssteigerung dieser Produkte bei gleichbleibender Wachstumsrate bis Ende 2022 über 2200 Prozent betragen wird!

Zwar vergrössern die Einweg-E-Zigaretten ihren Marktanteil teilweise auf Kosten der herkömmlichen E-Zigaretten (offenes MODS-System), doch erschliessen sie auch in massivem Umfang neue Kundensegmente, speziell unter den Jugendlichen.

Gesundheitliche Folgen

Sogar viele gesundheitspolitische Akteure denken, die E-Zigaretten seien harmloser als die herkömmlichen. Zwar ist das tabakbedingte toxische Potenzial dieser Produkte anscheinend kleiner als bei den herkömmlichen tabakhaltigen Zigaretten, doch enthalten die E-Zigaretten viele andere toxische Substanzen, die im Tabakrauch nicht vorliegen, und auch das Nikotin kann für Jugendliche schwerwiegende Folgen haben.[vii] Es gilt zu betonen, dass diese Produkte keinesfalls als harmlos zu erachten sind und dass gerade bei jungen Konsumierenden ein grosses Suchtpotenzial besteht.

Aktuell fehlt der nötige zeitliche Abstand, um die Risiken dieser Produkte abzuschätzen, insbesondere die Verwendung von synthetischem Nikotin in den meisten Einweg-Produkten. Doch zeigen jüngste Vorfälle, dass diese Produkte schwere gesundheitliche Schäden verursachen können, etwa epileptische Anfälle,[viii] bisweilen mit Todesfolge, wenn Komplikationen im Lungenbereich auftreten.[ix]

Schwache Aufsicht und rückständige Politik

In der Schweiz ist das Aufsichtssystem nicht in der Lage, auswertbare Daten über die Prävalenz des Konsums dieser Produkte unter den Jugendlichen, ihrer Konsumgewohnheiten oder ihrer Konsumarten zu liefern. Die Einweg-E-Zigaretten ermöglichen es, noch grössere, intensivere und konzentriertere Nikotinmengen zu inhalieren als herkömmliche Zigaretten. Zudem kommt es sehr häufig vor, dass Jugendliche auf weitere Tabakprodukte übergreifen und gerade auch mehrere Konsumarten pflegen. Das Risiko, dass junge Konsumierende durch diese Produkte zum Rauchereinstieg verleitet und in eine starke Nikotinabhängigkeit geführt werden, ist real und gross. Die Gesundheitspolitik muss dringend revidiert werden und sollte ihren Fokus auf diese Produkte legen. Der Tabakkonsum verursacht über die Hälfte der suchtbedingten gesellschaftlichen Kosten in der Schweiz. Hier spielen die Einweg-E-Zigaretten eine Rolle als Einstiegspforte zum Tabakkonsum. Diese muss unverzüglich geschlossen werden, bevor es für unsere Jugend zu spät ist.

Während die gesundheitspolitischen Experten noch über Risiken und angebliche Chancen der Einweg-Produkte debattieren, haben diese das Herz unserer Jugend, bis hin zu den ganz jungen, längst gewonnen. Wer sich davon überzeugen will, braucht nur einen Blick in die Umgebung von Schulen oder in die Sozialen Medien zu werfen. Jetzt lautet das Gebot der Stunde: Augen auf und handeln!

Luciano Ruggia ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz, der zentralen schweizerischen Nichtregierungsorganisation, die sich für die Bekämpfung und Prävention des Tabakkonsums einsetzt. Herr Ruggia hat Abschlüsse in Politikwissenschaften, internationalen Beziehungen und im Bereich Public Health. Er arbeitete mehrere Jahre beim Bundesamt für Gesundheit und wechselte dann ans Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern, wo er eine Forschungsstelle innehat. Zudem ist er Fellow der Swiss School of Public Health.

Er war einer der ersten in Europa, der vor den elektronischen Einwegzigaretten gewarnt hat, deren Konsum sich unter Jugendlichen in Europa und mehreren anderen Ländern ausbreitet.

Email

 


[i] made-in-china.com/products-search/hot-china-products/Disposable_Electronic_Cigarette.html, eingesehen am 21. August 2022. Auf derselben Website hatten am 21. Dezember 2021 «lediglich» 246 697 unterschiedliche Produkte vorgelegen.

[ii] at-schweiz.ch/advocacy/recht-gesetz/gesetzgebung-in-den-kantonen?lang=de

[iii] at-schweiz.ch/advocacy/preise-steuern/verkaufspreise

[iv] Neben den E-Zigaretten gibt es die erhitzten Tabakprodukte, Snus und die Nikotinbeutel.

[v] Kirkham, Chris (2022): Factbox: Top-selling flavored disposable e-cigarettes. Reuters. reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/top-selling-flavored-disposable-e-cigarettes-2022-08-16/.

[vi] «Laut Mario Puppo (51), Präsident der Swiss Vape Trade Association, ‹steigen die Verkäufe von Einweg-E-Zigaretten seit Anfang Jahr monatlich um 30 Prozent. Mittlerweile machen sie bereits 30 Prozent auf dem E-Zigaretten-Markt aus›». Schlund, Dominique (2022): «Farbig, fruchtig – krebserregend: Hype um trendige Wegwerf-E-Zigaretten erreicht die Schweiz.» In Blick, 15. August 2022. Blick.ch/wirtschaft/farbig-fruchtig-krebserregend-hype-um-trendige-wegwerf-e-zigaretten-erreicht-die-schweiz-id17789501.html,, eingesehen am 21. August 2022.

[vii] Tehrani MW, Newmeyer MN, Rule AM, Prasse C. «Characterizing the Chemical Landscape in Commercial E-Cigarette Liquids and Aerosols by Liquid Chromatography-High-Resolution Mass Spectrometry.» In: Chem. Res. Toxicol. 2021.

[viii] Kirkham, Chris (2022): «New ‹candy› e-cigs catch fire after U.S. regulators stamp out Juul's flavors.» Reuters. reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/new-candy-e-cigs-catch-fire-after-us-regulators-stamp-out-juuls-flavors-2022-08-16/.

[ix] Ungued-Thomas, Jon; Das, Shanti (2022): «‹When I see kids vaping, I warn them: that’s what killed my daughter.› The mother of a teenager who died after her lungs collapsed believes e-cigarettes were the cause and is calling for tougher legislation.» The Guardian, 7. August 2022. theguardian.com/society/2022/aug/07/when-i-see-kids-vaping-i-warn-them-thats-what-killed-my-daughter