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08.03.2024 |News

Frauen und Rauchen: eine verhängnisvolle Verbindung

Während die Zahl der Raucher sinkt, steigt die Zahl der Raucherinnen weiter an. Gleichzeitig sind Frauen durch den Tabakkonsum stärker gefährdet und haben es schwerer als Männer, mit dem Rauchen aufzuhören.

Der Anteil der rauchenden Frauen in der Schweiz liegt mit 21 % unter dem der Männer (27 %) und ist gemäss der letzten Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2022 rückläufig.[1] Hinter diesem scheinbaren Fortschritt verbirgt sich jedoch eine wenig erfreuliche Realität: Bei den 15- bis 24-jährigen Frauen und bei den über 55-Jährigen nimmt der Anteil der Raucherinnen zu.

Je nach Altersgruppe ist der Anteil zwischen 1992 und 2022 um 0,5 % bis 7,1 % gestiegen.[2] Bei den Männern hingegen ist in allen Altersgruppen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Der Anteil der jungen Raucherinnen (15-24 Jahre) liegt heute bei einem Rekordwert von 26 %, bei den gleichaltrigen Männern sind es 25 %.[3]

Diese Diskrepanz ist auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten. Insbesondere in Griechenland, Dänemark, Irland, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, Norwegen und Schweden nimmt der Unterschied zwischen den Geschlechtern tendenziell ab.[4] In den Vereinigten Staaten ist die Raucherquote bei den Frauen seit 2005 um 25 % zurückgegangen, bei den Männern um 27 %.[5]

«Der Tabakkonsum von Frauen ist ein relativ neues Phänomen, das sich erst in den letzten dreissig Jahren entwickelt hat, zumindest auf breiter Ebene», erklärt Evelyne Laszlo, Tabakologin und Leiterin der Genfer Fachstelle CIPRET (Centre d’Information et de Prévention du Tabagisme). Dies hat zur Folge, dass die Entwicklung der Prävalenz bei den Frauen verzögert verläuft. Während der Höhepunkt des Tabakkonsums bei den Männern schon vor Jahrzehnten erreicht wurde, steht er bei den Frauen noch bevor.

In einigen Schwellenländern, in denen der Tabakkonsum von Frauen bis vor kurzem noch verpönt oder gar verboten war, beginnt die Zahl der Raucherinnen teilweise erst jetzt zu steigen. In Mosambik und Argentinien rauchen mittlerweile mehr weibliche als männliche Jugendliche.[6]

«Und da zwischen der ersten Zigarette und dem Höhepunkt der rauchbedingten Mortalität etwa dreissig Jahre liegen, beginnen sich die Auswirkungen des steigenden Konsums bei Frauen gerade erst bemerkbar zu machen», bemerkt Regina Dalmau, Vorsitzende einer spanischen Tabakpräventionsorganisation. In den Vereinigten Staaten sterben jährlich rund 200’000 Frauen an den Folgen des Rauchens, und diese Zahl nimmt zu, während sie bei den Männern seit Jahren rückläufig ist.[7]

Da Frauen häufig mit Rauchern in einem Haushalt leben, sind sie zudem besonders stark dem Passivrauchen ausgesetzt. 64 % der durch Passivrauchen verursachten Todesfälle betreffen Frauen.[8]

 

Gesundheitliche Auswirkungen

Der weibliche Körper reagiert anders auf Tabak als der männliche. «Frauen, die rauchen, haben häufiger Herz-Kreislauf-Probleme als Männer», sagt die Kardiologin Regina Dalmau. «Ihr Gefässsystem und die Mechanismen der Blutgerinnung funktionieren anders, was bei ihnen das Risiko erhöht, dass sich ein Blutgerinnsel bildet, das zu einer Thrombose, einem Schlaganfall, einem Herzinfarkt oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit führen kann».

Eine Studie mit 2,4 Millionen Raucherinnen und Rauchern zeigt, dass dieses Risiko bei Frauen um 25 % höher ist als bei Männern.[9] Frauen neigen auch dazu, in jüngeren Jahren Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, selbst wenn sie nur wenige Zigaretten pro Tag rauchen, so die Expertin.

Die Kombination von Pille und Rauchen kann für Frauen tödlich sein, insbesondere für Frauen über 35 Jahre. «Das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses steigt um das 26-fache, wahrscheinlich aufgrund der Wechselwirkung zwischen dem Östrogen in der Pille und dem Blutgerinnungssystem der Frau», betont Evelyne Laszlo.

Frauen erkranken häufiger an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) als Männer. Die Krankheit tritt bei Frauen früher auf und ihre Lungen werden stärker beeinträchtigt.[10] Das liegt unter anderem daran, dass ihre Lungen und Atemwege kleiner sind und sie einen stärkeren Expirationsfluss haben.[11]

Auch das Rauchverhalten ist unterschiedlich. Frauen nehmen zwar mehr, aber kürzere Züge. Die Folge: Zwischen 1980 und 2000 stieg die COPD-Mortalitätsrate bei Frauen um 291 %, bei Männern dagegen nur um 60 %.[12] In den Vereinigten Staaten sterben inzwischen mehr Frauen als Männer an COPD.

Hinzu kommen Gefahren, die nur Frauen betreffen, wie ein erhöhtes Risiko für Brust-, Gebärmutterhals- und Eierstockkrebs.[13] Auch ihr Reproduktionszyklus wird stark beeinträchtigt. «Rauchen kann zu Unfruchtbarkeit führen, beschleunigt den Eintritt der Menopause, erhöht das Osteoporoserisiko und stellt ein Risiko während der Schwangerschaft dar», erklärt Evelyne Laszlo.

Schätzungen zufolge rauchen zwischen 7 % und 10 % der schwangeren Frauen weiter. Nikotin erhöht jedoch das Risiko für Fehlgeburten, Eileiterschwangerschaften, Frühgeburten, angeborene Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Sehstörungen oder Atembeschwerden sowie den plötzlichen Kindstod.[14]

Rauchentwöhnung

Auch bei der Raucherentwöhnung bestehen geschlechtsspezifische Unterschiede. «Frauen und Männer unterscheiden sich kaum in ihrem Wunsch und in der Anzahl der Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören», sagt Liz Klein, Expertin für Gesundheitsverhalten im Bereich Tabakkonsum an der Universität von Ohio. «Aber ihre Erfolgsquote ist niedriger, vor allem mittel- und langfristig.» Ihre Rückfallquote ist um 31 % höher als die der Männer.[15]

Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? «Frauen rauchen aus anderen Gründen als Männer», erklärt Sherry McKee, Professorin für Psychiatrie an der Yale Medical School. «Männer hingegen werden durch die anregende Wirkung des Rauchens angetrieben.» Weniger vom Nikotin abhängig als ihre männlichen Kollegen, geniessen Raucherinnen vor allem die Gesten, Gerüche und Gefühle, die mit dem Rauchen verbunden sind.

Die Untersuchung der Hirnareale, die als Reaktion auf eine Zigarette aktiviert werden, bestätigt dies. «Bei Frauen ist die Amygdala aktiv, die Region, in der Emotionen verarbeitet werden, während bei Männern das Striatum aktiv ist, das Lust- und Belohnungsgefühle steuert», erklärt Sherry McKee.

Raucherinnen werden schneller abhängig als Raucher und brauchen weniger Zeit, um das Nikotin zu verstoffwechseln, so die Expertin. «Das liegt daran, dass sie mehr Östrogen im Körper haben, ein Hormon, das dem Körper hilft, Nikotin abzubauen», erklärt sie. Bei Frauen, die die Pille nehmen oder schwanger sind, ist das Phänomen ausgeprägter, weil ihr Östrogenspiegel noch höher ist.[16]

Beim Aufhören treten Stress und Ängste wieder auf, die zuvor durch das Rauchen unter Kontrolle gehalten wurden. Diese Gefühle werden durch die Schwierigkeit, die Sucht aufzugeben, noch verstärkt und führen zu Rückfällen. «Viele Frauen sehen in der Zigarette auch ein Mittel zur Gewichtsregulierung und befürchten, nach dem Rauchstopp zuzunehmen», so Evelyne Laszlo.

Strategien zur Tabakentwöhnung sollten diese geschlechtsspezifischen Unterschiede berücksichtigen. «Frauen profitieren besonders von verhaltenstherapeutischen Ansätzen», sagt Liz Klein. Auf Nikotinersatzpräparate wie Pflaster, die meist als Erstbehandlung angeboten werden, sprechen sie dagegen weniger gut an.

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Vareniclin. «Dieses Medikament hat sich bei Frauen als wirksamer erwiesen als bei Männern», sagt Sherry McKee, die eine Studie zu diesem Thema durchgeführt hat. «Aber den Ärzten fehlt es an Informationen und sie denken nicht immer daran, es ihren Patientinnen als Therapie der ersten Wahl vorzuschlagen».

Frauen als Zielscheibe der Tabakindustrie

Die Tabakindustrie macht sich seit langem die unterschiedlichen Rauchgewohnheiten von Männern und Frauen zunutze. Sie nutzten die Emanzipation der Frauen während des Ersten Weltkriegs aus, als Frauen männliche Attribute – Hosen, kurze Haare und Zigarette – übernahmen, und begannen ab den 1920er Jahren mit Werbekampagnen, die sich gezielt an Frauen richteten und das Rauchen als Symbol von Autonomie und Macht darstellten.[17]

Im Jahr 1929 liess Great American Tobacco junge Frauen bei einer Parade in New York Lucky Strike rauchen, die als «Fackeln der Freiheit» bezeichnet wurden, um gegen die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu protestieren. In den 60er Jahren warb die Marke Virginia Slims, die wie Eve, Misty oder Capri speziell für den Frauenmarkt entwickelt wurde, mit dem Slogan «Du hast es weit gebracht, Liebling».

Eine zweite, eher traditionelle Kommunikationslinie setzte auf die Inszenierung junger, schöner und schlanker Frauen, um die Vorteile der Zigarette beim Abnehmen hervorzuheben. «Einige Zigarettenhersteller brachten sogar 'Slim'-Zigaretten auf den Markt, deren Name und schmale Verpackung Schlankheit suggerieren sollten», erinnert Evelyne Laszlo. Eine Kampagne von Lucky Strike in den 1920er Jahren warb mit dem Slogan «Greif nach Lucky statt nach Süssem». Die Kampagne verhalf der Marke zu einem Marktanteilszuwachs von über 200 %.[18]

 

Die Tabakindustrie zielt zunehmend auf Frauen ab, indem sie mit sexistischen Klischees spielt. Dies zeigt diese Werbung zweier bekannter Schweizer Zigarrenmarken.

 

Ab den 70er und 80er Jahren begann man sich in den Vereinigten Staaten und in Europa der schädlichen Auswirkungen des Rauchens bewusst zu werden. Es war an der Zeit, neue Märkte zu erschliessen, insbesondere jene, die nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden waren. Die Marken L&M, Kim, Virginia Slims und Capri eroberten das ehemalige Ostdeutschland, Ungarn, die Tschechische Republik, das postfranquistische Spanien und Japan mit Werbespots, die die befreite und westliche Frau priesen.[19] In Japan stieg der Anteil der Raucherinnen zwischen 1986 und 1991 von 8,6 % auf 18,2 %.[20]

In der westlichen Welt haben die Tabakkonzerne auf der Grundlage neuer Erkenntnisse über die Motive von Raucherinnen damit begonnen, in ihren Kampagnen die stressreduzierende Wirkung des Rauchens hervorzuheben. «Die Zigarette für die Karrierefrau zur Entspannung, zur Beruhigung der Nerven bei zunehmender Anspannung und als gesellschaftlich akzeptiertes Beruhigungsmittel», heisst es in internen Dokumenten von Brown & Williamson, die an die Öffentlichkeit gelangten.[21]

Traditionell männliche Marken haben feminine Varianten auf den Markt gebracht, wie etwa Camel No 9 in Anlehnung an das berühmte Parfum von Chanel oder die rot-weiss-silberne Verpackung von Davidoff, die als «ultimatives Modeaccessoire» bezeichnet wird.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sahen sich die Tabakkonzerne durch die Verschärfung nationaler Gesetze zur Tabakwerbung erneut gezwungen, ihren Kundenkreis zu erweitern. «Jetzt haben sie die Frauen in Afrika und Asien im Visier – ein nahezu unerschlossener Markt, da Rauchen für Frauen in diesen Regionen lange Zeit verpönt war», sagt Sherry McKee. Um diese neuen Kundinnen zu erreichen, deren Tabakkonsum noch immer verpönt wird, mussten ausgeklügelte Strategien entwickelt werden. In Indien bieten einige Marken an, ihre Zigaretten nach Hause zu liefern.[22]

Auf den westlichen Märkten versuchen sie eher, die Gesetze zu umgehen, indem sie in weniger regulierte Bereiche wie soziale Netzwerke investieren. «In der Schweiz werben viele Influencerinnen wie Melanie Winiger oder Tamy Glauser, die für Iqos (ein Produkt von Philip Morris aus erhitztem Tabak, Anm. d. Red.)», stellt Evelyne Laszlo fest.

Das Dampfen hat ihnen darüber hinaus neue Möglichkeiten eröffnet. «Das Design der Geräte, der Geschmack und die Farben sprechen vor allem Frauen an», sagt die Expertin. Die Strategie scheint aufzugehen: 2022 konsumierten 6 % der 15- bis 24-jährigen Frauen in der Schweiz E-Zigaretten, gegenüber 3 % in der Gesamtbevölkerung.[23]

> Tabakkonsum bei Frauen in der Schweiz: eine epidemiologische Perspektive

 


[1] https://www.bag.admin.ch/bag/fr/home/das-bag/aktuell/news/news-03-11-2023.html

[2] https://www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiques/catalogues-banques-donnees.assetdetail.28725086.html

[3] Ibidem

[4] https://www.escardio.org/Journals/E-Journal-of-Cardiology-Practice/Volume-20/women-and-tobacco-a-gender-perspective

[5] https://truthinitiative.org/sites/default/files/media/files/2019/03/Truth_Women%20and%20Tobacco_FactSheet_final.pdf

[6] https://www.bmj.com/content/374/bmj.n1516#:~:text=These%20packages%20include%20not%20only,of%20policy%20making%20and%20implementation

[7] https://www.lung.org/quit-smoking/smoking-facts/impact-of-tobacco-use/women-and-tobacco-use

[8] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)30752-2/fulltext

[9] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(11)60781-2/fulltext

[10] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0272523104000176?via%3Dihub

[11] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3058892/#:~:text=Women%20consistently%20show%20less%20confidence,stress%20during%20the%20cessation%20period

[12] Ibidem

[13] https://truthinitiative.org/sites/default/files/media/files/2019/03/Truth_Women%20and%20Tobacco_FactSheet_final.pdf et https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3818570/

[14] https://nida.nih.gov/publications/research-reports/tobacco-nicotine-e-cigarettes/what-are-risks-smoking-during-pregnancy et https://women.smokefree.gov/quit-smoking-women/what-women-should-know/smokings-impact-on-women

[15] Smith PH, Kasza KA, Hyland A, et al. Gender differences in medication use and cigarette smoking cessation: results from the International Tobacco Control Four Country Survey. Nicotine Tob Res Off J Soc Res Nicotine Tob. 2015;17(4):463-472. doi:10.1093/ntr/ntu212.

[16] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3058892/#:~:text=Women%20consistently%20show%20less%20confidence,stress%20during%20the%20cessation%20period

[17] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1748294/

[18] Ibidem

[19] Ibidem

[20] https://assets.tobaccofreekids.org/global/pdfs/en/WT_essential_facts_en.pdf

[21] https://www.jstor.org/stable/20747788

[22] https://www.who.int/publications/i/item/9789240004849

[23] https://www.bag.admin.ch/bag/fr/home/das-bag/aktuell/news/news-03-11-2023.html

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