Ertrunken in einem Meer von Zigarettenstummeln


Die überwältigende Mehrheit der Zigarettenabfälle landet in der Natur, wo sie zu Mikroplastik zerfallen, Giftstoffe freisetzen oder von Lebewesen aufgenommen werden. Eine Welle der Verschmutzung, die jährlich 26 Milliarden Dollar kostet.


Mehr als 766'500 Tonnen. So viele Zigarettenstummel landen jedes Jahr in der Natur. Von den jährlich produzierten 6'000 Milliarden Zigaretten werden schätzungsweise 5'600 Milliarden unsachgemäss entsorgt.[1] «Zigarettenstummel stehen immer ganz oben auf der Liste der am häufigsten gesammelten Gegenstände, die von städtischen Diensten oder bei Strandreinigungsaktionen eingesammelt werden», betont Thomas Novotny, Gesundheits- und Umweltexperte an der Universität San Diego, dessen Forschungsschwerpunkt Tabak ist.

Von den 10 Millionen Müllteilen, die während der International Coastal Cleanup Campaign 2009 eingesammelt wurden, waren 21 % Zigarettenstummel.[2] Laut einer Untersuchung, die zwischen 2019 und 2021 an den Stränden im Norden Belgiens durchgeführt wurde, waren es sogar 41 %.[3] Zigarettenstummel werden durch die Kanalisation und Flüsse transportiert und sammeln sich an deren Mündungen, bevor sie an Stränden und in den Ozeanen landen. Wegen ihrer kleinen Grösse sind sie auch für die Strassenreinigung schwierig einzusammeln.

zigistummel auf boden

In der Schweiz gibt es kaum Daten über die Menge der in der Natur weggeworfenen Zigarettenstummel. Doch während der zweiwöchigen Kampagne 2021 der Organisation Stop2Drop, einer Initiative einer Berner Schulklasse, sammelten Schulkinder aus der ganzen Schweiz 960'000 Zigarettenstummel. «Wir haben die Aktion 2023 wiederholt und 540'000 Zigarettenstummel gesammelt», berichtet Markus Dick, Leiter von Stop2Drop. 2022 hat die Organisation zudem 42 Spielplätze untersucht. «Auf vier davon haben wir über 400 Zigarettenstummel gefunden», sagt Dick. Er weist darauf hin, dass Zigarettenstummel auch in der Schweiz der am häufigsten weggeworfene Gegenstand sind.

Das Problem ist in Entwicklungsländern noch akuter, «wo der Anteil der rauchenden Bevölkerung oft höher ist und es manchmal keine oder nur unzureichende Strassenreinigung gibt», so Debbie Sy, zuständig für strategische Angelegenheiten beim Global Center for Good Governance in Tobacco Control. Besonders betroffen sind China, Indonesien, Bangladesch, die Philippinen, Vietnam, Thailand, Brasilien, Ägypten, Indien, Russland, Iran und Pakistan.[4]

Jede Zigarettenkippe besteht aus rund 15'000 Filamenten aus Celluloseacetat, die jeweils weniger als 0.2 Millimeter lang sind. Eine in der Natur zurückgelassene Zigarettenkippe verliert täglich etwa 100 davon.[5] Zigarettenkippen sind photoabbaubar, aber nicht biologisch abbaubar. Unter Einwirkung der ultravioletten Strahlen der Sonne dauert es durchschnittlich zehn Jahre, bis sie sich aufgelöst haben.[6]

«Aber sie verschwinden nicht wirklich», betont Debbie Sy. Vielmehr zerfallen sie in Tausende winziger Teile. Dieses Mikroplastik wird häufig von Vögeln, Fischen und anderen Wasserorganismen aufgenommen und gelangt so in die Nahrungskette. Auch im Trinkwasser wurde es schon nachgewiesen.[7] Eine weitere Quelle für umweltschädliches Mikroplastik sind neben den Zigarettenstummeln die durchsichtigen Polypropylenhüllen, die für die Verpackung von Zigarettenschachteln und -stangen verwendet werden.

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Schlimmer noch: Mit den Zigarettenstummeln gelangen zahlreiche Schadstoffe in die Umwelt. «Sie sind wie kleine Teebeutel, die ihre giftige Ladung nach und nach in Böden und Gewässer abgeben», sagt Thomas Novotny und erinnert daran, dass eine Zigarette mehr als 7000 Chemikalien enthält, von denen etwa 50 krebserregend sind. Hinzu kommen rund 600 Zusatzstoffe, die den Geschmack oder die Textur des Tabaks verbessern sollen, sowie Düngemittel und Pestizide, die während des Anbaus von den Tabakblättern aufgenommen werden.

Zu den umweltgefährlichsten Substanzen gehören Nikotin, tabakspezifische Nitrosamine, die mehrere krebserregende Stoffe enthalten, Schwermetalle wie Arsen, Blei, Aluminium, Nickel, Titan, Kupfer, Chrom, Quecksilber und Eisen[8], polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), aromatische Amine und BTEX-Chemikalien (Benzol, Toluol, Phenole).[9]

«Ihre Toxizität für Wasserlebewesen wurde in Laborexperimenten dutzendfach nachgewiesen», erklärt Debbie Sy. In einigen Fällen reichte schon eine Zigarettenkippe in einem Liter Wasser aus, um bei den Organismen eine tödliche Wirkung hervorzurufen. Zwei Fische, ein Neuweltlicher Ährenfisch und eine Amerikanische Dickkopfelritze, wiesen nach nur 96 Stunden eine Sterblichkeitsrate von über 50 % auf.[10]

Andere Experimente haben gezeigt, wie sich Zigarettenstummeln auf das Überleben, die Wachstumsrate und die Fortpflanzungsfähigkeit anderer Fische, Wirbelloser, Krebstiere, Wasserschnecken und Amphibien auswirken. «Man darf nicht vergessen, dass einige dieser Arten vom Menschen verzehrt werden», sagt Thomas Novotny. Wenn sich Giftstoffe in ihrem Körper anreichern, können sie in die Nahrungskette gelangen.

Im Boden führen Zigarettenstummel bei bestimmten Pflanzen zu einer geringeren Keimrate und Triebgrösse.[11] Bei Spatzen, die häufig Zigarettenstummel zum Nestbau verwenden, treten Genmutationen in den roten Blutkörperchen auf.[12]

Kleinkinder und Haustiere können sie versehentlich verschlucken, was zu Erbrechen, Krämpfen, Herzrhythmusstörungen und Atemstillstand führen kann. Eine einzelne Zigarette enthält zwischen 9 und 30 Milligramm Nikotin, wobei die toxische Dosis für ein Kleinkind bei 1 bis 2 Milligramm liegt. Tödlich ist eine Dosis von 40 bis 60 Milligramm.[13]

In die Natur geworfene Zigarettenstummel sind auch für andere Übel verantwortlich. Sie können Wasserläufe verstopfen, was zu Überschwemmungen führt, und die Ansammlung von Zigarettenstummeln begünstigt die Vermehrung von Moskitos, die Malaria übertragen.[14] Nicht ausgedrückte Zigarettenstummel sind auch die häufigste Ursache für Brände, insbesondere Waldbrände. In den USA werden 8 bis 10 % aller Brände auf diese Weise verursacht. Verstärkt wird dieser Effekt durch Stoffe, die dem Zigarettenpapier zugesetzt werden, um die Zigarette am Brennen zu halten.[15]

Auch die Umweltverschmutzung durch weggeworfene Zigarettenstummel hat ihren Preis. Nach einer Berechnung von Debbie Sy, die auch die Kosten für Strassenreinigung und Umweltschäden berücksichtigt, belaufen sich diese auf 26 Milliarden US-Dollar pro Jahr.[16] In den USA sind es 400 Millionen Dollar pro Jahr.[17] In Frankreich sind es 100 Millionen Euro pro Jahr.[18] «In der Schweiz schätzte das Bundesamt für Umwelt 2011, dass die Behörden jährlich 52 Millionen Franken für das Einsammeln von Zigarettenstummeln ausgeben», bemerkt Markus Dick.

Warum werfen so viele Menschen ihre Zigarettenstummel auf den Boden? Thomas Novotny erklärt: «In der Öffentlichkeit herrscht grosse Unkenntnis über die Giftigkeit von Zigarettenabfällen. Wenn man Raucherinnen und Raucher fragt, glauben viele, dass Zigarettenstummel aus Papier oder Baumwolle bestehen und sich auf natürliche Weise zersetzen.» Bei einer von RJ Reynolds, einer Tochtergesellschaft von British American Tobacco, die in den USA unter anderem die Marken Camel und Pall Mall vertreibt, organisierten Veranstaltung mit Raucherinnen und Rauchern schlugen einige vor, die Filter auf den Kompost zu werfen, und andere plädierten dafür, essbare Filter in Form von Pfefferminzbonbons oder Keksen zu entwickeln.[19]

zigistummel mit handschuh blau

Manche Rauchende «wollen ihre Zigarettenreste nicht in einem tragbaren Aschenbecher oder im Aschenbecher ihres Autos mitnehmen, weil sie das als schmutzig empfinden», sagt Chris Bostic, Policy Director bei der Organisation Action on Smoking and Health (ASH). Andere haben Angst, einen Brand auszulösen, wenn sie ihre Zigarettenstummel in den Mülleimer werfen. Schlimmer noch: «Raucherinnen und Raucher scheuen sich manchmal, einen Aschenbecher zu benutzen, weil sie nicht mit dieser visuellen Erinnerung an ihre Sucht konfrontiert werden wollen», erklärt Thomas Novotny. Manche sehen darin eine natürliche Fortsetzung der rebellischen Haltung, die sie zum Rauchen gebracht hat.

Eine Studie, die auf Beobachtungen an 130 Orten in den Vereinigten Staaten basiert, hat ergeben, dass 45 % der gerauchten Zigaretten auf den Boden geworfen werden.[20] Dieser Anteil steigt sogar auf 65 %, wenn die Raucherinnen und Raucher nach ihren Gewohnheiten befragt werden.[21] Andere Studien haben gezeigt, dass Rauchende selbst dann, wenn sich ein Aschenbecher oder Abfalleimer in weniger als fünf Metern Entfernung befindet, diesen nicht benutzen. Anstatt die Rauchenden für die Umweltverschmutzung verantwortlich zu machen, führen diese Ergebnisse zu einer einfachen Schlussfolgerung: Zigarettenfilter sind giftig und gehören verboten.


[1] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21504919/

[2] https://www.researchgate.net/publication/51062568_Analysis_of_metals_leached_from_smoked_cigarette_litter

[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38026410/

[4] https://ggtc.world/library/tobaccos-toxic-plastics-a-global-outlook

[5] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0048969721034550

[6] https://www.researchgate.net/publication/51062570_Geographic_patterns_of_cigarette_butt_waste_in_the_urban_environment

[7] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0194970

[8] https://www.researchgate.net/publication/51062568_Analysis_of_metals_leached_from_smoked_cigarette_litter

[9] https://ggtc.world/knowledge/sustainability-and-human-rights/why-the-zero-draft-of-the-un-plastics-treaty-should-deal-with-tobaccos-toxic-plastics

[10] https://tobaccocontrol.bmj.com/content/20/Suppl_1/i25

[11] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0147651319307481

[12] https://www.researchgate.net/figure/During-nest-building-A-and-incubation-B-genotoxic-damage-expressed-as-the-number_fig4_316436982

[13] https://tobaccocontrol.bmj.com/content/20/Suppl_1/i17

[14] https://ggtc.world/library/tobaccos-toxic-plastics-a-global-outlook

[15] https://exposetobacco.org/resource/ti-and-environment/

[16] https://tobaccocontrol.bmj.com/content/early/2023/11/07/tc-2022-057795

[17] https://ggtc.world/library/tobaccos-toxic-plastics-a-global-outlook

[18] https://www.drugsandalcohol.ie/37966/1/WHO_Tobacco_poisoning_our_planet.pdf

[19] https://www.industrydocuments.ucsf.edu/tobacco/docs/#id=yrfl0089

[20] https://csusm-dspace.calstate.edu/bitstream/handle/10211.3/199446/Schultz201335.pdf;jsessionid=D6362F21CBA1F3CF9039095C7AA3D865.server1?sequence=1

[21] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0013916511412179