- 01.10.2025
- News
Das Tabakproduktegesetz ein Jahr später: ein Scheitern mit Ansage!
Am 1. Oktober 2024 trat das neue Bundesgesetz über Tabakprodukte (TabPG) in Kraft. Dieses Inkrafttreten markierte den Teil- Abschluss eines langen und schmerzhaften parlamentarischen Prozesses, der über zehn Jahre dauerte und in Verlauf dessen ein erster Gesetzesentwurf an den Bundesrat zurückgewiesen wurde. Der schlussendlich verabschiedete Text bleibt jedoch äusserst enttäuschend, da er nur wenige echte Fortschritte im Vergleich zu bereits kantonal geregelten Bestimmungen bringt.
Man kann zwar die Ausweitung des Verkaufsverbots aller Tabak- und Nikotinprodukte an Minderjährige unter 18 Jahren (Art. 23) begrüssen. Aber brauchte es dafür wirklich mehr als zehn Jahre parlamentarischer Debatten– während einige europäische Länder diese Massnahme schon vor über zwanzig Jahren eingeführt hatten, so wie Irland im Jahr 2002?
Werbung einschränken? Wirklich?
Das TabPG vom 1. Oktober 2024 ist in Kraft getreten… aber unvollständig. Bei den Werbebeschränkungen setzt es statt eines vollständigen Verbots, wie es Gesundheitsbehörden weltweit seit über 20 Jahren empfehlen, auf ein regelrechtes „Sieb-System“. Einige wenige, ohnehin marginale Werbeträger – etwa Strassenplakate, die fast schon verschwunden waren – werden verboten, doch grosse Grauzonen bleiben bestehen.
Im Bereich Werbung ist der einzige wirkliche Fortschritt dem Erfolg der Volksinitiative Kinder ohne Tabak zu verdanken. Sie erlaubt eine leichte Verschärfung der Verbote, doch diese bleibt marginal im Vergleich zum tatsächlichen Schutzbedarf der Jugend: https://www.kinderohnetabak.ch/news/parlament-setzt-die-volksinitiative-kinder-ohne-tabak-um/
Schön und gut: Zukünftig gibt es also dann keine Reklame mehr in Produkten, welche Kinder erreichen. Doch wer wird das kontrollieren? Wer wird Soziale Medien wie TikTok und Instagram kontrollieren? Wer Online-Gaming-Plattformen? Und wie sollen Sanktionen bei Verstössen möglich sein, wenn es keine Kontrollen gibt? Diese Lücke des heutigen Gesetzes wird weiterbestehen.
E-Zigaretten: ein weiterhin wilder Markt
Bei den E-Zigaretten beschränkt sich das TabPG darauf, europäische Normen zu kopieren, die in der Schweiz schon seit Jahren gelten: Nachfüllungen sind auf 10 ml bei offenen Systemen und auf 2 ml bei Einweg- oder Kapselsystemen begrenzt (Art. 9), der maximale Nikotingehalt ist auf 20 mg/ml festgelegt (Anhang 2).
Doch hinter diesem regulatorischen Anstrich verbirgt sich eine skandalöse Realität: Der Markt für E-Zigaretten bleibt ein unkontrollierter Dschungel. Seit Jahren warnt AT Schweiz dafür (siehe hier https://www.at-schweiz.ch/de/news-medien/news/illegale-vapes-behoerden-untaetig/), doch geändert hat sich nichts. Das TabPG bietet nur die Illusion einer Regulierung: Im Handel wie online wimmelt es von illegalen Produkten. Einwegprodukte und Kapseln, die die 2-ml-Grenze weit überschreiten, sind überall erhältlich – völlig straffrei. Und die Entwicklung verschärft sich: Eine neue Generation von „ Einwegprodukten“, die so konstruiert sind, dass sie das Gesetz umgehen, überschwemmt den Markt. Diese Geräte, die über 2 ml hinaus nachfüllbar sind, machen die Norm völlig obsolet. Während die Behörden die Augen verschliessen, vervielfacht die Industrie ihre Tricks, um Jugendliche mit bunten, billigen und hochgradig süchtig machenden Produkten anzulocken.

Screenshot AT Schweiz
Auf einer bekannten Schweizer Online-Verkaufsseite finden wir problemlos E-Zigaretten mit illegalen Volumina. Die Lost Mary 6000, in mehreren Geschmacksrichtungen erhältlich, wirbt mit einem vorgefüllten Tank von 10 ml. Das TabPG verbietet Nachfüllungen von mehr als 2 ml.
Verkaufsbeschränkungen an Minderjährige: reine Fassade
Die Kontrollen des Verkaufsverbots an Minderjährige sind ineffektiv, und nichts deutet darauf hin, dass es für Jugendliche heute schwieriger wäre, an diese Produkte zu gelangen als früher. Besonders offensichtlich ist das Problem im Internet. Online-Verkaufsseiten – insbesondere für E-Zigaretten und Nikotinbeutel – vervielfachen sich ohne jegliche Regulierung. Die meisten führen keine echten Alterskontrollen durch oder nur reine Scheinüberprüfungen. Häufig begegnet man demselben Scherz: die Frage „Sind Sie über 18 Jahre alt?“ – ein Klick auf „Ja“ genügt, und schon kann man frei einkaufen.
Warnhinweise: Rote Karte für ein bisschen Gelb!
Das TabPG wollte auch die Gesundheitswarnungen auf den Verpackungen modernisieren. Doch von Anfang an waren die Ambitionen lächerlich minimalistisch: Anstatt endlich die neutrale Verpackung einzuführen – wie es die fortschrittlichsten Länder im Kampf gegen Tabak getan haben – begnügt sich die Schweiz mit einer kosmetischen Änderung. Die Warnhinweise wechseln von weiss auf gelb, und die Fotos werden zwar ausgetauscht… bleiben aber weiterhin auf der Rückseite der Packung. Die schockierendsten, nachweislich wirksamsten Bilder wurden sorgfältig ausgeschlossen.
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes ist die Bilanz vernichtend: Weniger als ein Drittel der Zigarettenpackungen trägt die neuen Warnhinweise (Überprüfungen in etwa fünfzehn Geschäften zwischen Bern und Freiburg Ende September 2025). Noch schlimmer: Keine einzige Snus-Packung – die bereits zuvor illegalerweise ohne Warnhinweise verkauft wurde – wurde angepasst. Dasselbe gilt für Nikotinbeutel: keine einzige konforme Verpackung konnte gefunden werden. in der chaotischen Welt der E-Zigaretten tragen nur wenige Produkte die neuen Gesundheitswarnungen. Und online wurden die Produktbilder grösstenteils nicht aktualisiert – selbst bei klassischen Zigaretten.
Dabei hatte das TabPG der Industrie ein ganzes Jahr zur Anpassung eingeräumt. Doch danach gönnt man ihr noch den Luxus, „Restbestände abzubauen“. Wer kontrolliert tatsächlich, wann diese Bestände aufgebraucht sind? Wer stellt sicher, dass sie nicht einfach erneuert werden?
In der jetzigen Form ist diese Reform nichts anderes als ein Geschenk an die Industrie.

AT Schweiz
Ein bisschen Gelb anstelle von Weiss, aber die Bilder bleiben auf der Rückseite. Rechts eine neutrale englische Verpackung derselben Marke.
Eine Datenbank, die zu nichts dient
Um der Verwirrung und der Produktflut entgegenzuwirken, sieht das TabPG eine Pflicht zur Inhaltsdeklaration vor (Art. 26 und 27). 2025 hat das BAG daher eine offizielle Datenbank online gestellt: https://www.gate.bag.admin.ch/tabacinfo/ui/home/public
Doch das Gesetz, schlecht konzipiert und schlecht formuliert, weist riesige Lücken auf. Deutlichstes Beispiel: Nikotinbeutel müssen ihren Nikotingehalt überhaupt nicht deklarieren – eine zentrale Information, die in der Datenbank völlig fehlt. Ebenso gibt es keine Pflicht für Hersteller, das Vorhandensein von Schwermetallen in E-Liquids anzugeben, obwohl zahlreiche Studien ihre nahezu flächendeckende Präsenz nachgewiesen haben.
Noch gravierender: Das TabPG definiert nicht einmal den Zweck dieser Datenbank. Das BAG scheint sich ebenfalls nicht darum zu kümmern. Die Unternehmen tragen ihre Daten ein, füllen ein paar Felder aus… und dann? Wer kontrolliert? Wer überprüft, ob alle Produkte erfasst sind? Wer sanktioniert fehlende Angaben?
Und die Krönung: Die Hersteller haben ein ganzes Jahr Zeit, ein Produkt nach der Markteinführung zu deklarieren. Mit anderen Worten: Der Markt wird mit Neuheiten überschwemmt, lange bevor sie überhaupt registriert sind. Wir sind der Meinung, dass eine vorherige Deklaration zwingend Bedingung für die Vermarktung sein müsste.
Heute, bei 6'210 gemeldeten Produkten, stellt sich die Frage: Wozu dient diese Datenbank? Dem Schutz der öffentlichen Gesundheit? Der Transparenz? Oder nur dazu, die Illusion von Kontrolle zu schaffen – während die Industrie in Wahrheit tun und lassen kann, was sie will?
Schlussfolgerung
Man könnte noch weitere Schwächen dieses Gesetzes analysieren, doch das Fazit ist bereits eindeutig: Ein Jahr nach seinem Inkrafttreten erweist sich das TabPG als schwach, unzureichend und in rein minimalistischer Form umgesetzt. Die Mängel sind überall: Werbung nur „halb“ verboten, Gesundheitswarnungen rein kosmetisch und verzögert, der Markt für E-Zigaretten und Nikotinbeutel völlig unkontrolliert, keine wirksamen Kontrollen beim Verkauf an Minderjährige, eine Datenbank, die niemand überwacht…
Das Ergebnis: Die Tabakindustrie kann die Korken knallen lassen. Sie hat ein Gesetz erhalten, das an den grundlegenden Marktbedingungen nichts ändert, ihre riesigen Gewinne nicht gefährdet und ihr ermöglicht, die Schweiz weiterhin mit immer attraktiveren, süchtig machenden und leicht zugänglichen Produkten zu überschwemmen.
Während die Gewinne der Industrie weiter steigen, zahlen die Jugend und die Gesundheit der gesamten Bevölkerung den Preis. Das TabPG, als historische Reform verkauft, ist in Wirklichkeit ein glänzender Sieg der Tabaklobby – und eine dramatische Niederlage für die öffentliche Gesundheit.
Luciano Ruggia, 1. Oktober 2025