Hinter den Kulissen der TABEXPO 2025: Wie sich die Tabakindustrie ihre Zukunft baut

Am 8. und 9. Mai 2025 fand in Genf die 30. Ausgabe der TABEXPO statt – eine der grössten Fachmessen Europas für die Tabak- und Nikotinindustrie. Austragungsort war das Palexpo, wo rund 3'000 Besucherinnen und Besucher sowie etwa 100 Aussteller erwartet wurden, um über Innovationen, regulatorische Herausforderungen, alternative Produkte und globale Nachhaltigkeitsstrategien zu diskutieren.

TABEXPO 2025 wurde als die grösste B2B-Konferenz (Business-to-Business) der Branche angekündigt und durch eine «Novel Nicotine Expo» ergänzt, die ausschliesslich den neuen nikotinhaltigen Produkten gewidmet war. Beide Veranstaltungen wurden von Quartz Business Media organisiert, das unter anderem Messen im Bereich Shisha veranstaltet.

Der Ton auf der offiziellen Webseite war unmissverständlich: «Für die Zukunft der Tabakindustrie Innovationen schaffen». In der Einleitung wird die zentrale Rolle der Schweiz betont: «Die Schweiz ist Heimat einiger der weltweit grössten Tabakkonzerne. Philip Morris International (PMI), British American Tobacco (BAT) und Japan Tobacco International (JTI) sind seit vielen Jahren im Land präsent– mit regionalen Hauptsitzen, Forschungszentren und Produktionsstätten über das ganze Land verteilt.» Kein Wunder also, dass BAT und JTI zu den Hauptsponsoren der Ausgabe 2025 zählten.

Was die Öffentlichkeit nicht sieht, spielt sich hinter den Kulissen ab. Ein ehemaliger Insider der Tabakindustrie – der anonym bleiben möchte – hat als kritischer Beobachter an der TABEXPO 2025 teilgenommen. Dank seiner Einblicke konnten wir dokumentieren, wie die Branche strategisch ihre Zukunft gestaltet. Für ihn ist TABEXPO mehr als nur eine Handelsmesse: «Es ist eine strategische Bühne, auf der die nächste Welle der Abhängigkeit vorbereitet wird.»

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Von der Vitrine zur Bühne: Die Tabakindustrie inszeniert sich

In zwei Hallen des Palexpo gab sich die TABEXPO 2025 den Anschein einer Hightech-Messe. Die Welt der Nikotinprodukte präsentierte sich sauber, modern, innovationsgetrieben. Die sorgfältig gestalteten Stände waren mit Slogans über Innovation, Nachhaltigkeit und Risikoreduktion versehen – und präsentierten Produkte, die den Nikotinkonsum in neuer Form fortführen sollen: E-Zigaretten, erhitzter Tabak und vor allem Nikotinbeutel. Letztere standen im Zentrum der «Novel Nicotine Expo» und machten etwa die Hälfte der präsentierten Produkte aus. Bunte Dosen mit aromatisierten Beuteln in unterschiedlichsten Nikotinstärken und Designs, die jede Zielgruppe ansprechen sollen. Ein estnischer Hersteller bot sogar an, seine eigene Marke zu entwickeln.

Pouches Zeus
Pouches Wiz

Nikotinbeutel in allen Farben und Geschmacksrichtungen, angeboten von Marken aus aller Welt.

Die Ausstellenden wollten Fachpublikum ansprechen, das auf der Suche nach Partnerschaften und marktgerechten Lösungen ist. Hinter dem Etikett «Innovation» stand vor allem die Diversifikation des Angebots und die Erschliessung neuer Märkte. Die Botschaft war klar: Nikotin hat Zukunft – wenn man es in neuen Formen konsumiert.

Parallel zur Ausstellung wurden an zwei Tagen Konferenzen abgehalten, bei denen Industrie-«Expertinnen» und «Experten» über regulatorische Risiken und Marktperspektiven referierten. Ihre Profile sprechen für sich: Wissenschaftler:innen von multinationalen Tabakkonzernen, die angeblich weniger schädliche Produkte anpreisen; globale Strategieberater:innen für Regulierung oder Investor Relations; Labore, die im Auftrag der Industrie Analysen liefern – und damit eine technische «Neutralität» ins Spiel bringen. Das Vokabular war gut eingeübt: Innovation, Wissenschaft, ausgewogene Regulierung, Nachhaltigkeit. Doch oft dienen diese Begriffe dazu, die öffentliche Debatte zu verzerren, günstige Bewertungsrahmen durchzusetzen und regulatorische Räume zu besetzen. Die eingeladenen «Fachpersonen» verleihen der Branche einen wissenschaftlichen Anstrich – und tragen dazu bei, das Narrativ einer im Wandel begriffenen Industrie zu etablieren, die dennoch selbst die Regeln bestimmen möchte. Die TABEXPO ist nicht nur eine Fachmesse. Sie ist ein strategischer Ort der Macht, wo die globale Tabak- und Nikotinindustrie an ihrer künftigen Legitimität und an neuen Wachstumsfeldern arbeitet.

Die Zukunft aus Sicht der Industrie: Diversifizierung und Eroberung

« Alternative Produkte sind die Zukunft, herkömmliche Zigaretten werden ein Produkt der Vergangenheit werden ». Mit dieser Aussage eröffnet die Chefanalystin der Abteilung Nikotin und Cannabis von Euromonitor International ihren Vortrag auf der 30. Tabexpo in Genf [1]. Das globale Marktforschungsunternehmen analysiert Trends und berät zentrale Akteure der Branche, darunter Philip Morris International (PMI), British American Tobacco (BAT), Imperial Brands und Japan Tobacco International (JTI), wie auf der Website von Euromonitor bestätigt wird.

Das erklärte Ziel ist klar: « Vervielfachung der Produkte bei den Verbrauchern ». Die großen Tabakkonzerne wollen ihr Angebot diversifizieren: Vapes, Nikotinbeutel (Nikotinpouches), verschiedene Aromen, Hybridgeräte. Sie sind der Meinung, dass eine einzige Art des Konsums nicht mehr ausreicht, um auf dem Markt zu bestehen, sondern dass man ein « komplettes Freizeiterlebnis » anbieten muss. Die Botschaft dahinter: Wer sich mit einem einzigen Produkt zufrieden gibt, verpasst die reiche und vielfältige Erfahrung, die die Industrie angeblich bietet - ein Marketingargument, das auf die Förderung des Mehrfachkonsums zugeschnitten ist. Wenn man dampft, sollte man das genießen, was auch die Nikotinbeutel bieten können, und sich nicht von erhitztem Tabak abhalten lassen. Und natürlich sollte man die verschiedenen Aromen oder die « entspannenden » Eigenschaften der einen Produktvariante schätzen, während andere als « anregend» vermarket werden. Die Anwesenden hören gespannt zu und sehen darin eine Chance für zukünftige Gewinne. Nikotin ist in erster Linie eine starke und süchtig machende Droge, die dieser jahrhundertealten Industrie langfristige Einnahmen sichert.

« Wir sind von 5% des Marktes auf 10% gestiegen, in einigen Gebieten sogar auf 15%. Es gibt ein großes Wachstumspotenzial », sagt der Euromonitor-Bote in Bezug auf Nikotinbeutel. Dies ist in der Tat das, was man an den Ständen beobachten kann. Der Analyst liess es sich übrigens nicht nehmen, Presseartikel zu zeigen, in denen von der Beliebtheit dieser Tütchen in der Tech- und Finanzwelt die Rede ist.

Risiken verringern? Wohl eher vervielfachen!

Der Toxikologe von Imperial Brands selbst sagt in seiner Präsentation: « Um den Bedürfnissen der Verbraucher gerecht zu werden, muss man ihnen eine Reihe von differenzierten Produkten anbieten. » Er erklärt, dass die Tabakindustrie seit jeher die Kunst beherrscht, ihre Produkte in den Alltag der Verbraucher zu integrieren. Ein Modell, das sie mit den neuen Geräten wiederholen will. Während alle Redner immer wieder von der Notwendigkeit sprechen, « die Risiken zu reduzieren », scheint die tatsächliche Strategie in die entgegengesetzte Richtung zu gehen: Mehr Geräte und mehr Arten, Nikotinprodukte zu konsumieren, bedeuten mehr Risiken! Forschungen haben gezeigt, dass neue Nikotinprodukte nicht frei von Risiken sind und langfristig die Entstehung von Krebs begünstigen [2] . Selbst wenn das Risiko eines Produkttyps im Vergleich zur Zigarette reduziert ist, summieren sich die Risiken, wenn man eine ganze Reihe von Produkten konsumiert. Diese Fakten wurden von dem Toxikologen natürlich nicht angesprochen, der seine Präsentation mit den Worten begann: « Ich habe seit 25 Jahren eine Leidenschaft für Nikotin ».Trotzdem stellt der Toxikologe klar, dass er das Wort « sicher » (safe) für ihre Produkte nie verwendet, « es ist ein relativer Begriff ». Diese Vorsicht sagt viel über das juristische Gedächtnis der Industrie aus. Diese hat die tödliche Gefahr ihrer Produkte lange Zeit geleugnet. Die größten Zigarettenhersteller der Welt wussten dies seit den 1950er Jahren. Die sieben größten Konzerne der Tabakindustrie wurden zu riesigen Geldstrafen verurteilt, nachdem ihre Vorstandsvorsitzenden 1994 vor dem US-Kongress unter Eid ausgesagt hatten, dass sie nicht glaubten, dass Zigaretten Krebs verursachen und Nikotin süchtig machen könne. Heute spiegeln die scheinbar differenzierteren Äußerungen dieses Toxikologen eher die Angst vor den amerikanischen Gerichten wider als eine wirklich verantwortungsbewusste Erkenntnis. Auch das Schweigen ist nicht ohne. Den ganzen Tag über wurde nicht ein einziges Wort über die Sorge um die Jugend und den Konsum dieser « erwachsenen » Produkte verloren. Weder die Lungenschäden bei Jugendlichen, die dampfen, noch die Mundschleimhautschäden, die durch Nikotinbeutel verursacht werden, waren Gegenstand der gut dokumentierten Aussagen von Toxikologen oder anderen Experten.

Next Gen Milano
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Der Eiffelturm in Mailand und die Magie des 3-in-1: Augenwischerei, worin die Industrie schon immer ein Experte war.

Neuland zu erobern: Nach Nikotin nun Cannabis

Und mit dem Anstieg der Entkriminalisierung von Cannabis ist der nächste große Markt bereits ausgemacht. Der Schutz der Gesundheit der Verbraucher scheint dagegen in der Gleichung zu fehlen. Die Nikotinkonzerne wenden sich nun den sogenannten « funktionellen » Substanzen zu: Cannabinoide, beruhigende Pflanzen und nootropische Wirkstoffe. Laut Euromonitor beruht dieser Trend auf einem veränderten Verbraucherverhalten, bei dem die Verbraucher Produkte nicht mehr nach ihrer Beschaffenheit, sondern nach ihrer gewünschten Wirkung auswählen (« outcome intentionality »). Die großen Konzerne erforschen daher hybride Produktreihen - nikotinhaltig oder nicht -, um « Bedürfnisse » wie Konzentration, Stressabbau oder Leistung zu befriedigen. Dieser strategische Schwenk, der als Antwort auf moderne Erwartungen dargestellt wird, beruht nicht auf einer Logik der öffentlichen Gesundheit, sondern auf der Eröffnung eines neuen Feldes für kommerzielle Stimulationen. Die Verschiebung von Nikotin zu Cannabis oder sogar zu anderen psychoaktiven Substanzen folgt der gleichen Logik: durch Versprechungen von Wirksamkeit oder Wohlbefinden einen allgemeinen Gebrauch zu erzeugen. Die Suchtlogik und der Mangel an unabhängigen Daten zu den langfristigen Auswirkungen bremsen diesen Innovationswettlauf nicht, der zu einer neuen Abhängigkeit führen kann - diesmal zu einer gesellschaftlich aufgewerteten. Das Potenzial eines neuen Cannabismarktes, der genauso liberal und wild ist wie der Nikotinmarkt, verspricht sehr saftige Gewinne!

Historische Wiederholung: Schaffung eines falschen Bedürfnisses

Wie mehrere Redner anmerkten, führen die zunehmenden Beschränkungen für traditionelle Zigaretten zu Innovationen bei alternativen Produkten. Diese Logik erinnert auf traurige Weise an die der 1920er Jahre, dem Beginn eines damals beispiellosen globalen Zigarettenmarketings: die Schaffung eines künstlichen Bedürfnisses, um ein neues Massenprodukt zu verankern. Es gibt nichts Neues, außer der technologischen und marketingtechnischen Macht, die heute eingesetzt wird: Produktplatzierungen in Filmen, Partnerschaften mit Influencern in sozialen Netzwerken, soziale Strategien, die auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind. Ohne einen starken regulatorischen Rahmen, den die Industrie stark befürchtet, wie während der Tabexpo 2025 mehrfach wiederholt wurde, besteht die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt.

Die Tabakindustrie macht sich wieder gesund

Indem sie uns immer und immer wieder sagt: « Unsere Aufgabe ist die Risikominderung », träumt die Industrie davon, dass die Öffentlichkeit darin den Wunsch sieht, sich auf die öffentliche Gesundheit umzustellen. Der letzte Redner des Vormittags von BAT greift dieses Credo noch einmal auf und fügt wissenschaftliche Begriffe hinzu, um das Publikum zu beeindrucken: « Regulierungen müssen auf evidenzbasierten Fakten beruhen » (basierend auf wissenschaftlicher Forschung). Dem kann man im Prinzip nur zustimmen, aber es ist nicht sicher, ob diese Führungskraft diese Forschung ohne die Beteiligung ihrer Branche durchgeführt sehen möchte. Laut der Website Lobbyfacts.eu ist er Lobbyist für seinen Arbeitgeber im Europäischen Parlament. Darüber hinaus ist der gelernte Journalist, wie sein Titel schon sagt, « für supranationale Regulierungsprozesse auf globaler Ebene zuständig ».

Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass diejenigen, die über Regulierungen und Gesetzesänderungen abstimmen, in erster Linie an die öffentliche Gesundheit denken und nicht an den Geldsegen, der von einer Industrie generiert wird, die die Gesundheitsbereiche jedes Jahr Milliarden kostet.

ubbs stand tabexpo 2025

Aussteller und Fachpublikum in der Palexpo-Halle. Angesichts des spärlichen Publikums war es unwahrscheinlich, dass die Organisatoren die erwarteten 3000 Besucher erreichten.

Diese Fachmessen, wie auch die TABEXPO 2025, sind nicht einfach nur Handelsausstellungen. Sie sind vor allem Räume der strategischen Einflussnahme, in denen Erzählungen, Allianzen und Argumente aufgebaut werden, die dazu dienen, die Expansion von Nikotinprodukten und psychoaktiven Substanzen in neue Märkte zu legitimieren. Hinter den glatten Schaufenstern und sterilen Diskursen sind eingespielte Logiken zur Vereinnahmung der Verbraucher, zur Normalisierung des Gebrauchs und zur Umgehung von Regulierungen am Werk.

Genau aus diesem Grund ist es entscheidend, diese Ereignisse genau zu beobachten. Nicht, weil sie illegal wären, sondern weil sie verkörpern, wie sich eine Industrie, die historisch für Millionen von Toten verantwortlich ist, neu formiert, während sie die gleichen Abhängigkeitslogiken und Profitinteressen beibehält. Weit davon entfernt, anekdotisch zu sein, ermöglichen diese Treffen der Industrie, ihre Erzählungen zu testen, politische Entscheidungsträger zu beeinflussen und den Grundstein für eine Zukunft zu legen, in der der Konsum von Nikotin - und bald auch von anderen Substanzen, insbesondere Cannabis - immer mehr integriert, gezielt und banalisiert wird. Sie zu beobachten, zu dokumentieren und zu hinterfragen ist ein Gebot der öffentlichen Gesundheit.

AT Schweiz, 12. Juni 2025

[1] Euromonitor International ist ein privates Marktforschungsunternehmen, das sich auf die strategische Analyse der Industrie, der Verbrauchermärkte und des Welthandels spezialisiert hat. Euromonitor wird häufig als Datenquelle in Berichten internationaler Organisationen wie der WHO verwendet, um z. B. den Tabakverkauf nach Ländern oder die Marktentwicklung neuer Nikotinprodukte wie Nikotinbeutel abzuschätzen. Allerdings wird ihre Unabhängigkeit kritisiert: Sie wurde von Zigarettenherstellern wie Philip Morris und British American Tobacco finanziert, was Bedenken hinsichtlich Interessenkonflikten aufwirft. Die Datenerhebungsmethoden von Euromonitor wurden oft wegen ihrer mangelnden Transparenz kritisiert. Trotzdem werden seine Daten manchmal von Gesundheitsbehörden oder internationalen Institutionen übernommen. Dies verstößt nach Ansicht mehrerer Experten gegen die Grundsätze des WHO-Rahmenübereinkommens (Artikel 5.3), in dem empfohlen wird, sich von Quellen fernzuhalten, die von der Tabakindustrie beeinflusst werden. AT Schweiz verfolgt die Politik, niemals auf die von Euromonitor erstellten Daten zurückzugreifen.

[2] Stephens, W. E. (2018). Comparing the cancer potencies of emissions from vapourised nicotine products including e-cigarettes with those of tobacco smoke. Tobacco control, 27(1), 10-17.

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