Die COP11 endet – und die Schweiz darf nicht länger wegsehen

Die elfte Tagung der Konferenz der Vertragsparteien (COP11) zum Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) fand soeben vom 15. bis 22. November 2025 in Genf statt und brachte mehr als 180 Vertragsparteien zusammen, um die Fortschritte bei der Verringerung des Tabakkonsums zu überprüfen, aktualisierte Leitlinien zu verabschieden und die internationale Zusammenarbeit zu stärken.

von Luciano Ruggia

Das FCTC, 2003 angenommen und 2005 als erster globaler Gesundheitsvertrag unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation in Kraft getreten, markierte einen historischen Meilenstein, indem es rechtsverbindliche Verpflichtungen für Regierungen festlegte, starke, evidenzbasierte Massnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums umzusetzen, die Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden zu schützen und den Einfluss der Tabakindustrie zu reduzieren. Als das entscheidungsbefugte Organ des Vertrags tritt die Konferenz der Vertragsparteien regelmässig zusammen, um die Umsetzung zu bewerten, Standards zu aktualisieren und auf neue Herausforderungen in einer sich rasch verändernden Tabak- und Nikotinumgebung zu reagieren – darunter Produktregulierung, Besteuerung, Werbeverbote, Umweltauswirkungen sowie neue Nikotinprodukte wie E-Zigaretten und Produkte mit erhitztem Tabak.

Fast zwei Jahrzehnte Erfahrung haben gezeigt, dass das FCTC wirkt: Länder, die seine Bestimmungen umgesetzt haben, verzeichnen einen Rückgang der Raucherprävalenz, eine verminderte Exposition gegenüber Passivrauch, ein stärkeres Bewusstsein für die gesundheitlichen Folgen des Tabaks sowie messbare Auswirkungen auf die Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. Dennoch bleibt die Tabakepidemie eine der weltweit dringendsten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit: Sie verursacht jedes Jahr mehr als acht Millionen Todesfälle und bringt enorme wirtschaftliche und soziale Kosten mit sich – insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen regulatorische Schlupflöcher, begrenzte Ressourcen und die anhaltende Einflussnahme der Industrie den Fortschritt behindern.

Vor diesem Hintergrund stellte die COP11 weit mehr dar als eine routinemässige Konferenz. In Genf bot sie eine entscheidende Gelegenheit, Verpflichtungen zu erneuern, die globale Solidarität zu stärken, neuen Bedrohungen zu begegnen und Länder dabei zu unterstützen, zentrale regulatorische Lücken zu schliessen, die die öffentliche Gesundheit weiterhin gefährden. Die auf der COP11 verabschiedeten Entscheidungen zielten darauf ab, stärkere Regulierungsmechanismen voranzubringen, den Taktiken der Industrie entgegenzutreten und sicherzustellen, dass zukünftige Generationen vor Abhängigkeit, Krankheit und dem wachsenden Einfluss der Tabak- und Nikotinindustrie geschützt werden. Während die Länder nun in die Phase der Umsetzung eintreten, hat die COP11 die Richtung für die nächste Etappe der weltweiten Tabakkontrolle vorgegeben.

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Zentrale Themen und Beschlüsse

Ein vorgeschlagener Beschluss zur schrittweisen Abschaffung umweltschädlicher Zigarettenfilter – inzwischen als eine der am weitesten verbreiteten Formen von Plastikabfällen anerkannt, die Wasserwege, Strände und städtische Ökosysteme verschmutzen – konnte unter den Delegationen nicht genügend Unterstützung finden. Eine parallele Initiative zur Verstärkung der Offenlegungspflichten bezüglich der Inhaltsstoffe von Tabakprodukten kam ebenfalls nicht voran, trotz dessen, was Beobachter als deutliches Gefühl der Dringlichkeit beschrieben. Anstelle der Einrichtung einer formellen Arbeitsgruppe einigten sich die Vertragsparteien lediglich auf einen informellen Konsultationsprozess unter Leitung der WHO, wodurch substanzielle Fortschritte auf die nächste COP verschoben wurden.

Dennoch verabschiedete die COP11 eine Reihe von Beschlüssen, die die erheblichen Schäden anerkennen, die entlang der gesamten Tabaklieferkette entstehen – von Anbau und Herstellung über Konsum bis hin zu Abfallprodukten, einschliesslich der Verschmutzung durch elektronische Zigaretten. Die Mitgliedstaaten wurden ermutigt, stärkere regulatorische Rahmen zur Bewältigung der Umweltverschmutzung zu prüfen und juristische Wege zu sondieren, um die Industrie für gesundheitliche, soziale und ökologische Schäden haftbar zu machen. Wie COP-Präsidentin Reina Roa betonte, sind die wissenschaftlichen Beweise für die Umweltzerstörung durch Tabak «absolut unbestreitbar».

Trotz Reibungen bei zentralen Themen unterstützten die Delegierten auch Massnahmen zur Erhöhung staatlicher Finanzierung für nationale Tabakkontrollprogramme und betonten die Mobilisierung inländischer Ressourcen – insbesondere durch Besteuerung – als Grundpfeiler einer nachhaltigen Umsetzung. Die Vertragsparteien erklärten sich zudem bereit, zukunftsorientierte «Endgame»-Massnahmen wie generelle Generationenverbote zu prüfen und verabschiedeten einen Beschluss, der zu stärkeren legislativen Schritten in Bezug auf straf- und zivilrechtliche Haftung im Bereich der Tabakkontrolle aufruft.

Für Organisationen der Zivilgesellschaft zeigte die COP11 erneut die entscheidende Rolle unabhängigen Engagements bei der Abwehr industriellen Einflusses und der Unterstützung evidenzbasierter Politikgestaltung. Die AT Schweiz beteiligte sich aktiv im Rahmen eines koordinierten Netzwerks unter der Leitung von Akteuren wie der Global Alliance for Tobacco Control (GATC) und ASH US. Diese NGOs trugen dazu bei, neue Themen hervorzuheben, Vertragsparteien mit ambitionierten Regulierungspositionen zu unterstützen und internationale Aufmerksamkeit auf Delegationsbeeinflussung und Desinformationsstrategien zu lenken.

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Die Debatte über die manipulierte Idee der «Schadensminderung»

Eine der umstrittensten Diskussionen betraf die Frage, wie das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) neue Nikotinprodukte – darunter E-Zigaretten und Produkte mit erhitztem Tabak – behandeln sollte, was erstmals offiziell auf einer COP thematisiert wurde. Fachleute des öffentlichen Gesundheitswesens betonten, dass diese Produkte im Rahmen der Prävention der Nikotinabhängigkeit und des Schutzes junger Menschen reguliert werden müssen, da Jugendliche zunehmend durch Aromen, Farben, digitales Marketing und Lifestyle-Branding angesprochen werden. Die Industrie hingegen verbreitete das Narrativ einer angeblichen «Schadensminderung» und behauptete, diese Produkte würden erwachsenen Raucher:innen beim Aufhören helfen – trotz zunehmender Belege für Erstkonsum bei Jugendlichen, Doppelkonsum und eine Renormalisierung der Nikotinabhängigkeit. Jüngste Forschungsergebnisse, die im BMJ veröffentlicht wurden, zeigen, wie E-Zigaretten die Rechte von Kindern untergraben, was die Dringlichkeit starker Schutzmassnahmen weiter unterstreicht.

Die Debatten über neue Produkte führten zu zwei konkurrierenden Beschlussentwürfen – einem unter der Führung Brasiliens, der die Vertragsparteien dazu ermutigte, zusätzliche Massnahmen zur Verhinderung der Nikotinabhängigkeit zu ergreifen, und einem zweiten Vorschlag, der den Argumentationslinien der Industrie entsprach und von Saint Kitts und Nevis eingebracht wurde und dafür den symbolischen «Dirty Ashtray Award» der Zivilgesellschaft erhielt. Da kein Konsens möglich war, wurde die Frage auf die COP12 im Jahr 2027 vertagt.

Während der gesamten Verhandlungen blieb die Einflussnahme der Industrie das grösste Hindernis für Fortschritte – sowohl in den formellen Sitzungen als auch durch parallele Veranstaltungen wie die industrienahe «Good COP 2.0»-Konferenz in Genf. Fachleute berichteten von einem beispiellosen Ausmass an Einflussnahme, darunter Versuche, nationale Delegationen zu beeinflussen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verzerren und die Debatten im Sinne angeblicher «Verbraucherrechte» und «Innovation» umzudeuten. Der amtierende Leiter des Sekretariats, Andrew Black, bestätigte diesen Druck, während er gleichzeitig erklärte, dass die auf der COP11 verabschiedeten Entscheidungen dazu beitragen werden, Millionen von Leben zu retten und den Planeten vor tabakbedingten Schäden zu schützen.

Mit dem Beginn der Vorbereitungen für die COP12 ist zu erwarten, dass zentrale ungelöste Themen – darunter die Regulierung neuer Nikotinprodukte, Aromaverbote, Umweltmassnahmen wie Filterverbote und rechtliche Haftungsmechanismen – erneut auf die Tagesordnung kommen. Sicherzustellen, dass der Einfluss der Industrie aus der gesundheitspolitischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen wird, wird entscheidend sein, damit die Vertragsparteien die in Genf eingegangenen Verpflichtungen in konkrete Reduktionen der gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Belastungen durch Tabak umsetzen können.

Mehr Informationen hierzu: https://gatc-int.org/news-and-events/

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Einfluss der Industrie: Ein wachsendes Hindernis für Fortschritte

Einer der besorgniserregendsten Aspekte der COP11 war der klare Nachweis, dass die Tabak- und Nikotinindustrie ihre Strategien zur Beeinflussung der internationalen Tabakkontrollpolitik intensiviert und diversifiziert hat. Berichte, die im Vorfeld der Konferenz veröffentlicht wurden, zeigten, dass der Einfluss der Industrie nach wie vor das grösste Hindernis für die vollständige Umsetzung des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) darstellt, und die in Genf beobachteten Dynamiken bestätigten diesen Trend. Anders als in früheren COP-Zyklen, in denen Lobbying weitgehend am Rande stattfand, wurde die COP11 von koordinierten Bemühungen begleitet, nationale Positionen bereits vor der Anreise der Delegationen zu beeinflussen. In mehreren Ländern nahmen Tabakunternehmen und ihnen nahestehende Organisationen direkt an vorbereitenden Sitzungen teil, boten «technische Beiträge» an und versuchten, die Regierungsmandate abzuschwächen. Dies markiert den Übergang von reaktivem Lobbying zu einer proaktiven politischen Einflussnahme, insbesondere über Finanz-, Handels-, Landwirtschafts- und Aussenministerien, die anfälliger für ökonomische Argumentationen sind und weniger im Einklang mit gesundheitspolitischen Prioritäten stehen.

Gleichzeitig hat die Industrie stark in ein Netzwerk von Frontgruppen investiert, darunter sogenannte Verbraucherorganisationen, Think-Tanks, Anbauerverbände und Lobbyplattformen, die das Vapen und Produkte mit erhitztem Tabak fördern. Diese Akteure verstärken die Botschaften der Industrie, während sie finanzielle Verbindungen verschleiern, und schaffen eine Echokammer, die die Tabakkontrolle als unvernünftig, ideologisch oder feindlich gegenüber der sogenannten «Schadensminderung» darstellt. Während der COP11 setzten diese Gruppen Social-Media-Kampagnen ein, organisierten Demonstrationen und verbreiteten Meinungsbeiträge, die darauf abzielten, Druck auf Delegationen auszuüben und die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen. Parallel zu den offiziellen Verhandlungen veranstalteten industrienahe Organisationen alternative Anlässe in Genf, wie etwa die Konferenz «Good COP 2.0», die die WHO offen angriff und versuchte, das Vertrauen in den Vertragsprozess zu untergraben. Diese Strategie stellt eine bewusste Bemühung dar, nicht nur spezifische Regulierungsinitiativen zu schwächen, sondern auch die Legitimität der multilateralen Gesundheitsgovernance zu beschädigen.

Das Narrativ der «Schadensminderung» stand im Zentrum dieser Bemühungen. Durch die Darstellung von E-Zigaretten, HTPs und Nikotinbeuteln als Mittel zur Reduktion des Rauchens versuchte die Industrie, strengere Regulierung dieser Produkte zu verhindern, Einschränkungen bei Aromen und Marketing abzuwehren und ihre Einbindung in die Kernverpflichtungen des FCTC zu blockieren. Doch die Evidenz zeigt weiterhin einen steigenden Konsum unter Jugendlichen, einen zunehmenden Doppelkonsum mit Zigaretten und eine Renormalisierung der Nikotinabhängigkeit, was die Glaubwürdigkeit dieser Argumente infrage stellt. Forschende und Menschenrechtsexperten warnen, dass solche Narrative die Risiken für Kinder und Jugendliche verschleiern und den Nikotinkonsum neu normalisieren. Die Intensität dieser Botschaften bei der COP11 zeigt, wie sich die Industrie als angeblicher Gesundheitspartner neu positioniert hat, während sie aktiv jene Politiken behindert, die Sucht tatsächlich reduzieren würden.

Auch der Umweltdiskurs wurde gezielt beeinflusst. Angesichts zunehmender wissenschaftlicher Belege über die ökologischen Folgen von Zigarettenfiltern, Elektroschrott und der gesamten Tabaklieferkette haben Unternehmen verstärkt auf Greenwashing-Taktiken gesetzt – wie die Unterstützung von Reinigungsaktionen, Nachhaltigkeitsversprechen und Recyclinginitiativen. Diese Massnahmen wurden eingesetzt, um gegen regulatorische Schritte wie Filterverbote oder Haftungsmechanismen zu argumentieren, indem die Industrie als Teil der Lösung statt als Ursprung des Problems dargestellt wurde. Das Scheitern der COP11, einen Konsens über ein Verbot von Plastikfiltern oder über verbindliche Offenlegungspflichten zu erzielen, spiegelt die Wirksamkeit dieser Taktiken wider, kombiniert mit geopolitischem Druck und wirtschaftlichen Argumenten industrienaher Delegationen.

Für die Zivilgesellschaft und Fachleute im Bereich der öffentlichen Gesundheit machte die COP11 deutlich, dass der Schutz gemäss Artikel 5.3 dringend verstärkt, Transparenzregeln ausgebaut und Industrieakteure sowie ihre Stellvertreter konsequent von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden müssen. Die Diskussionen in Genf zeigten klar, dass, obwohl die Vertragsparteien die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden des Tabaks zunehmend anerkennen, tatsächliche Fortschritte davon abhängen, politische Entscheidungsprozesse vor kommerziellen Interessen abzuschirmen. Da nun die Vorbereitungen für die COP12 beginnen – wo ungelöste Themen wie die Regulierung neuer Nikotinprodukte, Haftungsrahmen, Aromaverbote und Umweltmassnahmen erneut behandelt werden – wird die konsequente Ausschaltung des Einflusses der Industrie entscheidend sein. Ohne diesen Schutz riskieren die bei der COP11 erzielten Fortschritte verwässert, verzögert oder rückgängig gemacht zu werden – und die Vision einer tabakfreien Zukunft bleibt ausser Reichweite.

Mehr Links zur Einflussnahme der Tabakindustrie an der COP11:

https://www.globalissues.org/amp/news/2025/11/13/41610

https://www.euractiv.com/news/inside-big-tobaccos-push-to-sway-the-world-health-organization/

https://www.tobaccotactics.org/article/cop-11-mop-4-interference/

Schlussfolgerung – Die Schweiz am Scheideweg

Angesichts der Ergebnisse der COP11 und des wachsenden Einflusses, den die Tabak- und Nikotinindustrie auf globale politische Prozesse ausübt, befindet sich die Schweiz in einer besonders heiklen Position. Als einziges Land in Europa, das das WHO-FCTC noch immer nicht ratifiziert hat, bleibt die Schweiz ausserhalb des kollektiven Entscheidungsrahmens und kann daher nicht als Vertragspartei an der Festlegung internationaler Standards zum Schutz von Jugendlichen, zur Regulierung neuer Nikotinprodukte, zu Umweltmassnahmen und zur Haftung der Industrie mitwirken. Diese Situation schwächt die Glaubwürdigkeit der Schweiz im Bereich der öffentlichen Gesundheit – und dies, obwohl das Land die WHO, das FCTC-Sekretariat und die internationale diplomatische Gemeinschaft beherbergt, die sich für die COP11 in Genf versammelt hat. In einem Moment, in dem die Vertragsparteien auf stärkere Umweltmassnahmen, mehr Rechenschaftspflicht und besseren Schutz vor Einflussnahme der Industrie zusteuern, läuft die Schweiz Gefahr, als sicherer Hafen für die Tabakindustrie und ihre Netzwerke wahrgenommen zu werden. Die Debatten und Herausforderungen der COP11 unterstreichen daher die Dringlichkeit für die Schweiz, sich an internationale Standards anzupassen, das FCTC zu ratifizieren und ihre nationale Gesetzgebung zu stärken – sowohl zum Schutz ihrer Bevölkerung als auch zur Wahrung der Kohärenz mit ihren globalen Gesundheitsverpflichtungen.

Luciano Ruggia, Genf, 22.11.2025

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